Wyn Hoop
Sieg eines "Unbekannten"
Text: Walter Hilbrecht
Als Moderatoren führen Hilde Nocker und Werner Füllerer durch das Programm. Die Interpreten werden begleitet vom Tanzorchester des Hessischen Rundfunks unter der Leitung von Willy Berking. Ein Aufgebot namhafter Stars macht deutlich, dass die heimische Plattenindustrie dem europäischen Schlagerwettstreit durchaus Bedeutung beimißt, wenngleich in den Anfangsjahren aus dieser seit 1956 stattfindenden Konkurrenz in kommerzieller Hinsicht nur selten ein ganz großer Wurf gelang.
So schickte Philips Heidi Brühl ins Rennen, die im Jahr zuvor mit Chico Chico Charlie einen Umsatzrenner landen konnte.
Polydor setzte auf Gerhard Wendland und damit auf einen erprobten Fachmann in Sachen Schlagerunterhaltung. Während sich Rex Gildo & Angele Durand für die Electrola als Duo zusammen getan haben, erhofft sich Telefunken Chancen mit Gitta Lind, die seit ihrem MiIlionenhit Weißer Holunder hoch in der Gunst des Publikums steht. Daneben sind aber auch weniger bekannte Sänger vertreten, zu denen der 23jährige Wyn Hoop gehört, der für Decca um die Teilnahme am Grand Prix kämpft. Und ausgerechnet er, dem als Außenseiter nur geringe Chancen eingeräumt wurden, steht am Ende als strahlender Sieger da.
Eurovision Song Contest 1960
Überraschend holte Wyn Hoop den vierten Platz - hier mit Willy Berking und F.J. Breuer in Wiesbaden
Bravo
„Sensation bei der Schlagerparade des Fernsehens: Ein Unbekannter siegte“ so titelte Bravo einen Bericht über die Sendung und schreibt weiter: „Wyn Hoop gestern noch unbekannt, sang er sich heute in die Herzen von Millionen Zuhörern. Seinen Schlagersieg nach Punkten verdankt er nicht nur dem melodiösen Lied „Bonne nuit, ma cherie” sondern auch seinem Charme und seiner Stimme. Bravo wünscht viel Erfolg in London!“
Wie alles begann
Wyn Hoop, der mit bürgerlichem Namen Winfried Lüssenhop heißt und am 29. Mai 1936 in Hannover geboren wurde, erinnert sich, dass sein Interesse an der Musik bereits im Kindesalter geweckt wurde. „Als ich ungefähr 5 Jahre alt war, bekam ich ein Akkordeon geschenkt. Das war damals größer als ich. Da ging es los.“ Schon sein Vater wollte Musiker werden. Doch dann kam der Krieg, und er kehrte vom Rußlandfeldzug nicht zurück. Aber auch innerhalb der Verwandtschaft väterlicherseits gab es künstlerisch begabte Menschen, von denen einer Konzertmeister im Opernhaus war.
Mit etwa 12 J. nimmt Wyn Hoop Klavier- und Gitarrenunterricht. Nach Beendigung der Schule beginnt er eine Lehre bei der Post und lässt sich nebenbei in klassischem Gesang ausbilden. Um finanziell besser über die Runden zukommen, gründet er Anfang der 50er Jahre eine Band, die Capitello's. Keine Tanzkapelle, sondern eine Jazz-Combo.„Wir haben beispielsweise bach’sche Fugen verjazzt“ erzählt der Sänger. „Für die damalige Zeit war sowas recht ungewöhnlich. Aber wir waren eben jung, und es hat einfach Spaß gemacht. Und es gefiel den Leuten.“
Die Capitello's schlagen durch
Auch stimmlich lässt das Quartett, das sich am Harmoniegesang von US-Gruppen wie den Four Freshmen orientiert, die übrige Konkurrenz in der damaligen Amateurmusiker-Szene weit hinter sich. Man spielt hauptsächlich im norddeutschen Raum, vor allem in und um Hannover und Hamburg. Bereits nach kurzer Zeit gilt die Band als Attraktion, was nicht zuletzt Engagements im renommierten Georgspalast in Hannover belegen. Rundfunk und Presse nehmen immer öfter Notiz und die Auftritte häufen sich.
„Bald hatten wir so viel zu tun, dass ich den bürgerlichen Job bei der Post hinschmiss. Nach drei Jahren gab ich dann auch das Gesangsstudium auf.“
Von nun an ist Wyn freiberuflicher Musiker. 'Die Capitello's' sind gut im Geschäft, und immer wieder tun sich neue Möglichkeiten auf. So wirken sie in der „Kleinen Komödie“ in Hamburg in dem Singspiel (heute Musical) „Ach Luise...“ mit, für das sie auch Arrangements schreiben. Dadurch lernen sie Karl Golgowsky kennen, den Leiter des bekannten Golgowsky-Quartetts, der von den jungen Musikern so begeistert ist, dass er sie von nun an in künstlerischen Belangen unterstützt. Er stellt beispielsweise den Kontakt zur Musikindustrie her, und Ende der 50er Jahre kommt es zu den ersten Plattenaufnahmen der Capitello's, zunächst bei Metronome und später bei Ariola, wo Wyn Hoop dann auch seine erste Solo-Single veröffentlicht.
Weiter bis zum Grand Prix
Trotz beachtlicher Erfolge löst sich die Gruppe im Oktober 1958 auf. Im letzten bedeutenden Varieté Hamburgs, Haus Vaterland, findet im Rahmen einer Show mit Peter Frankenfeld und Lonny Kellner der letzte Auftritt statt. „Anschließend stieg ich beim Golgowsky-Quartett ein. Das ergab sich aber eher zufälIig durch das Ausscheiden eines der bisherigen Mitglieder.“
Daneben macht er, anfangs als Fred Lyssen, später als Wyn Hoop, Solo-Aufnahmen bei Decca. Außerdem entstehen unter dem Pseudonym 'Die Fellows' diverse Singles, auf denen er zusammen mit Karl Golgowsky im Duett singt. Während er mit dem Golgowsky Quartett auch Live-Auftritte absolviert, bleiben Die 'Fellows' eine reine Studioformation.
Über den NDR, für den er einige Soloproduktionen macht, werden der bekannte Hamburger Komponist Franz Josef Breuer und der Texter Kurt Schwabach auf ihn aufmerksam und bieten ihm den Titel "Bonne nuit ma chérie" an, mit dem sie sich an der Vorentscheidung zum Grand Prix beteiligen. Wie die Sache ausgeht, wurde bereits eingangs geschildert. So kommt es, dass Wyn am 29. März 1960 für Deutschland beim Eurovisions-Festival in London an den Start geht
Er setzt alles daran, sich und sein Lied gut zu verkaufen. Als elfter von insgesamt 13 Teilnehmern tritt er in der Royal Festival Hall vor das Mikrofon und beeindruckt mit seinem souveränen Vortrag und seiner dezenten Ausstrahlung nicht nur das Auditorium im Saal. Der deutsche Wettbewerbssong – eine Bolero-Beguine zwischen Schlager und Chanson – ist aufwendig arrangiert und kann sich neben den übrigen Beiträgen durchaus hören lassen.
Die von den Autoren sicher nicht ganz ohne Hintergedanken gewählte Titelzeile in französischer Sprache zahlt sich aus, denn aus Frankreich gibt es an diesem Abend mit vier Punkten die höchste Wertung. Dazu kommen jeweils zwei Punkte aus Monaco, Österreich und Belgien sowie ein weiterer aus Schweden. Insgesamt gibt es also elf Punkte und die reichen für Platz 4.
Den Sieg erringt die Französin Jacqueline Boyer. Der von ihr mit zarter Stimme dargebotene Ohrwurm 'Tom Pilibi' entwickelt sich anschließend europaweit zu einem Bestseller.
In den Charts
Das respektable Abschneiden Wyn Hoops bei dieser Veranstaltung wirkt sich hierzulande positiv auf den Plattenverkauf aus. Am 11. Juni 1960 steigt Bonne nuit.. in die Charts ein und wird vier Wochen lang notiert. Zwar nur auf den hinteren Rängen, aber immerhin! Heidi Brühl, die Zweitplatzierte der Deutschen Vorentscheidung, schafft mit ihrem von Michael Jary komponierten Beitrag Wir wollen niemals aus einandergehen bei uns einen Nr.-1-Hit, und man darf wohl mit Recht behaupten, dass sich dieses Lied, das heute als Klassiker gilt, für alle Zeiten einen Platz in der Deutschen Schlagergeschichte gesichert hat.
Durch die Teilnahme am Grand Prix weist Wyn Hoops Popularitätskurve weiter noch oben. Gestern noch ein Niemand, zählt er nun zu den Publikumsfavoriten. Aufgrund seines Könnens wird er in Fachkreisen als Sänger geschätzt und genießt somit Ansehen in der Schlagerbranche. Allein der kommerzielle Erfolg lässt noch zu wünschen übrig. Um das zu ändern, wird der aus Houston/Texas stammende, mittlerweile in Deutschland seßhaft gewordene Mal Sondock als Produzent angeheuert. Unter seiner Leitung nimmt Wyn Cover-Versionen internationaler Hits von Johnmy Cash, Elvis Presley und Johnny Preston auf.
Den Presley-Erfolg 'Are You Lonesome Tonight' hat sich zwar schon Peter Alexander gesichert, dessen Produzent Kurt Feltz auch für den deutschen Text verantwortlich zeichnet. Doch Mal Sondock lässt sich dadurch nicht abhalten, das Lied auch mit Wyn Hoop aufzunehmen. Schließlich belebt Konkurrenz das Geschäft. Alexander, damals bereits einer der populärsten Schlagerstars in Deutschland, schafft mit seiner Version der melodramatischen Ballade einen Top-Ten-Hit. Doch auch Hoop erreicht gute Chartnotierungen, und seine Fassung wird von einigen Kritikern sogar als die bessere eingestuft. Auch sonst läuft es für den Künstler, der inzwischen in Hamburg zu Hause ist, bestens. Paul Kuhn holt ihn in seine Fernsehshow ‘Hallo Paulchen’. Hier präsentiert er den Evergreen 'Du bist das süßeste Mädel der Welt', der auch als Single erscheint. Dafür verpasst man dem schon leicht angestaubten Stück eine etwas modernere Verpackung.
Pirko Manola & Wyn Hoop
In kürzester Zeit hat Hoop jede Menge Festival-Erfahrung sammeln können. Kein Wunder, dass er auch bei den heimischen Schlagerfestspielen 1962 wieder mitmacht. Allerdings gibt es dafür einen ganz anderen Grund. Ende 1961 sucht die Decca einen Duettpartner für die aus Finnland stammende Sängerin Pirko Manola. Zunächst ist Silvio Francesco im Gespräch, doch der hochgewachsene, schlaksige Bruder von Caterine Valente und die zierliche Sängerin passen von der Optik her einfach nicht so gut zusammen. So probiert man es mit Wyn Hoop, und diese Kombination ist perfekt. Er macht eigentlich nur mit, weil es eine einmalige Kombination für die Schlagerfestspiele sein soll. Beim Publikum und bei den Juroren kommen die beiden so gut an, dass am Ende immerhin ein höchst ehrenwerter 4. Platz herausspringt. Als ihr Wettbewerbstitel es dann euch noch bis auf Platz 28 der deutschen Hitparade schafft, werden weitere Duettaufnahmen produziert.
Die nächste Single Küsse im Mondschein, ist eine Coverversion von Brian Hylands Hit Ginny Comes Lately und landet in den Top-Ten. Pirko & Wyn haben sich damit als Schlagerpärchen etabliert, wirken in zahllosen Fernsehshows mit und veröffentlichen insgesamt fünf gemeinsame Singles.
Unterstützt wird er dabei vom erfolgreichen Produktionsteam Sigrid Volkmann & Werner Müller, zu dem er mittlerweile gewechselt ist. Seine Chancen stehen gut, wie sich bald zeigen wird. 1962 und 1963 werden die US-Popcharts von lateinamerikanischen Rhythmen dominiert. Statt Twist oder Madison ist nun Bossa Nova gefragt. Ursprünglich eine Art Jazz-Samba, der aber im Zuge der Kommerzialisierung und der damit verbundenen Vermengung mit konventionellen Schlagerzutaten viel von seiner speziellen Eigenart verliert. Eso Beso (Paul Anka), Desafinado (Stan Getz & Charlie Byrd), Blame It On The Bossa Nova (Eydie Gorme) oder Bossa Nova Baby (Elvis Presley) sind nur einige von vielen Erfolgstiteln.
Wyn & Andrea
Ende 1963 gelingt Wyn Hoop dann aber wieder ein Treffer. Werner Müller hat für ihn zwei hochkarätige Nummern an Land gezogen, die nun beide auf einer Single gekoppelt werden. Bobby Vintons Samba-Ballade Blue Velvet in der deutschen (!) Fassung (un)sinnigerweise Blue Moonlight betitelt – ist eine #1 aus den USA. Und hinter Warum gehst du an mir vorbei? verbirgt sich ein Spitzenreiter aus Großbritannien, nämlich Dance On von den Shadows. Die Musikjournalisten tippen die Scheibe als sicheren Hit. Hier habe das Produktionsteam perfekte Arbeit geleistet, heißt es. Gut bewertet wird auch die Leistung des Interpreten: Wyn Hoop gehört zur ersten Garnitur unserer Schlagerkünstler, aber er stand, was seine Beliebtheit betrifft, bisher stets in der zweiten Reihe. Er hat nämlich eine Eigenschaft, die in seinem Beruf heutzutage hinderlich ist – er kann richtig singen!
Selbst Addy Flor, der Wyn Hoop mit seinem Orchester bei den Aufnahmen begleitet hat, kann sich über eine positive Erwähnung freuen. Lob aus berufenem Mund ist natürlich eine feine Sache. Ausschlaggebend ist letzten Endes jedoch das Urteil der Konsumenten. In diesem Fall zeigt es sich, dass man auch den Publikumsgeschmack getroffen hat, denn der Sprung in die offizielle Verkaufshitparade lässt nicht lange auf sich warten.
Nicht nur im Beruf, auch privat gilt Wyn Hoop stets als zuverlässig und solide. Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen aus der Showbranche ist er nicht publicitysüchtig. Im Gegenteil: er hat den Klatschreportern nie Stoff für Schlagzeilen und Skandalgeschichten geliefert. Seit 1961 ist er mit der aus Wien stammenden Sängerin Andrea Horn verheiratet. "Begegnet sind wir uns zum ersten Mal Ende 1959. Wir waren zusammen in einer Sendung beim NDR, die „Garantiert Unbekannt“ hieß, und Andrea war damals noch die eine Hälfte der Honey Twins. Wir verstanden uns gleich sehr gut und haben uns angeregt über Musik unterhalten. Dadurch kamen wir uns bald näher. Als sie dann nach Wien zurück musste, telefonierten wir ständiq miteinander, was auf Dauer ganz schön ins Geld ging. Also habe ich sie dann eines Tages gefragt, ob sie nicht zu mir nach Hamburg kommen will."
Andrea muss nicht lange überlegen und folgt der Stimme des Herzens – wie es so schön heißt. Zwar steigt sie bei den Honey Twins aus, setzt ihre Laufbahn als Sängerin aber fort. Bald darauf geben sich Wyn & Andrea ganz offiziel das Ja-Wort. Während sie privat längst ein Paar sind, gibt es gemeinsame Plattenaufnahmen erst ab 1964 - und zwar zunächst bei Ariola, denn vorher standen beide bei verschiedenen Firmen unter Vertrag. 1965 erscheint dann – diesmal wieder bei Decca – ihre erste Folklore-LP 'Zwielicht'.
Weitere folgen: 'Folklore International', '2 + Ihre Songs', 'Trommeln, Tänze, Tropennacht', 'Danke Freunde', 'Ich hab Dich lieb'
Wyn Hoop betätigt sich inzwischen auch als Produzent. So ist er beispielsweise für die Soloaufnahmen von Andrea Horn verantwortlich. Daneben kümmert er sich um den Schlagernachwuchs. Anfang der 70er Jahre entdeckt und produziert er Oliver Bendt, der gleich mit seiner ersten Single einen Hit landen kann und später als Sänger der Goombay Dance Band auch international Erfolg hat.
1978 ziehen sich Wyn Hoop & Andrea Horn aus dem Showgeschäft zurück und verlagern ihre Aktivitäten auf ein ganz anderes Gebiet: Beide sind nämlich nicht nur passionierte, sondern auch versierte Segler und machen mit ihrer Yacht regelmäßig die Meere unsicher. Durch ihre vielen Segeltörns kennen sie vor allem das Mittelmeer inzwischen fast so gut wie die eigene Westentasche. Mehr zufällig kam ihnen die Idee, ihr Wissen in Buchform zu veröffentlichen. Als Autoren von nautischen Reiseführern sind sie am Markt gut etabliert. Außerdem verfassen sie Artikel und Reiseberichte für alle deutschsprachigen Fachzeitschriften, aber auch für Zeitungen wie „die Welt’“ oder „Welt am Sonntag“.
Persönlichkeit & Stimme
Wyn Hoop zählt zu den interessantesten Sängern, die die Schlagerszene seinerzeit geprägt haben. Mit seiner einfühlsamen Stimme, mal sanft streichelnd, dann wieder energievoll und dynamisch, verlieh er all seinen Songs nicht nur einen Großteil ihrer Wirkung, sondern auch die nötige Glaubwürdigkeit. Vor allem das ist es, was diese mittlerweile zumeist in Vergessenheit geratenen Schlager auch heute noch hörenswert macht.